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Hintergrund

Hintergrund


Normung

Normung soll ein Mittel zur Ordnung und Grundlage für ein sinnvolles Zusammenarbeiten im geschäftlichen Leben sein. Als Ziele der Normung werden von ihren Befürwortern Schlagworte wie Transparenz, Rationalisierung, Qualitätssicherung, Austauschbarkeit und Kompatibilität genannt. Dies mag für viele Lebensbereiche richtig sein. Handelspartner müssen ihre Produkte und Anforderungen nicht mehr detailliert beschreiben. Es genügt der Verweis auf eine Norm, die den Standard festlegt. Zur Last wird Normung aber, wenn der einfache Verbraucher mit Verweisen auf eine Unzahl von Normen überhäuft wird und ohne deren Kenntnis nicht mehr in der Lage ist, Produkte und Verfahren zu verstehen und gesetzliche Vorschriften zu befolgen.


Das Problem

Der Bereich Bauen, also der Lebensbereich, für den der Verbraucher den grössten finanziellen Einsatz seines Lebens erbringt, ist inzwischen so überfrachtet und reguliert, dass es selbst den besten Fachleuten unmöglich ist, einen kompletten Überblick zu behalten. Der gravierendste Kritikpunkt ist aber, dass es sich der Gesetzgeber zum Usus gemacht hat, einer Vielzahl von Normen gesetzlichen Charakter zu verleihen. Diese für allgemein verbindlich erklärten Normen müssen von allen Bauwilligen beachtet werden. Ihre Nichtbeachtung zieht oft sogar Ordnungsmaßnahmen nach sich.

Und es kommt noch dicker für den Verbraucher und zwangsweisen Anwender: diese Normen sind nicht wie Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften frei zugänglich, sondern müssen teuer gekauft werden.

Wie abstrus dieser Vorgang ist, lässt sich veranschaulichen, wenn man ihn auf andere Lebensbereiche überträgt. Wer kann sich eine Norm "Verhalten im Strassenverkehr" vorstellen, die für einen dreistelligen Preis gekauft werden muss?
- Teil 1: Strassen und Höchstgeschwindigkeiten
- Teil 2: Bußgelder ...
Oder wer würde einen Joghurt kaufen, auf dem nur "Inhalt nach DIN 0815" steht? Um die Inhaltsstoffe zu erfahren, müsste die Norm gekauft werden. Tante Emma dürfte nicht einmal eine Kopie der Joghurt-Norm aushändigen, außer sie hätte zuvor bei DIN gefragt und für die Kopie bezahlt.

Genau so wie im fiktiven Joghurt-Szenario läuft es aber im Baubereich. Um zu erfahren, wie man seinen Keller abdichten muss, wieviel Schall aus der Nachbarwohnung kommen darf, wieviel Wärmedämmung aufs Dach muss oder wie hoch Treppenstufen sein dürfen, müssen Normen gekauft werden. In Gesetzen und Verordnungen steht darüber nichts.

Prinzipiell ist ja nichts gegen gewisse Spielregeln zu sagen, aber diese stellt am Bau nicht der Gesetzgeber zur Verfügung, sondern private Gremien, auf deren Regeln der Gesetzgeber nur verweist. Jüngstes Beispiel ist die Energieeinsparverordnung, die ohne die Kenntnis von 26 mitgeltenden Normen nicht anwendbar ist. Während die Verordnung frei zugänglich ist, müssen die Rechenregeln teuer zugekauft werden. Die Anwendung der Verordnung ist aber Pflicht.


Die Lösung

Es gibt das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt), eine Institution des Bundes und der Länder zur einheitlichen Erfüllung bautechnischer Aufgaben auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts. Das DIBt erteilt bisher Zulassungen für Baustoffe, verwaltet eine Liste mit mehreren Hundert eingeführten Baubestimmungen, im Wesentlichen private Normen, und vergibt Bauforschungsaufträge. Satzungsgemäß kann es aber auch an der Ausarbeitung technischer Richtlinien und technischer Regeln im nationalen, europäischen und internationalen Bereich mitarbeiten. Es wäre deshalb logisch, richtig und möglich, dass in Zukunft alles Beachtenswerte aus Normen privater Gremien unter Mitwirkung des DIBt in amtliche Richtlinien gefasst wird. Diese Richtlinien könnte der Verbraucher und Anwender, wie andere amtliche Verlautbarungen auch, frei einsehen.

Zur Erarbeitung der Richtlinien ist die Bauministerkonferenz ARGEBAU mit ihren acht Fachkommissionen, darunter die Fachkommission Bautechnik, in der Lage. Aus der Feder dieser Fachkommission, die bis vor kurzem sogar die Bezeichnung "Fachkommission Baunormung" trug, stammen z.B. die Asbest-, die PCB-Richtlinie und die Muster-Richtlinie über den baulichen Brandschutz im Industriebau und eine Reihe von Richtlinien, die in der Liste der eingeführten Technischen Baubestimmungen geführt werden.


Der Status quo

Mit Hinweisen auf das Urheberrecht wird die Verbreitung der verbindlichen Normen massiv behindert. Diese müssen für teures Geld gekauft werden. Im Fall der für verbindlich erklärten Normen*) sind hohe Preise unverständlich, denn der Gesetzgeber hat für die Ausarbeitung bereits bezahlt. Zum Beispiel finanziert sich DIN e.V. zu einem Sechstel**) aus Zuwendungen des Staates genau für diesen Zweck.

*) dies sind etwa 20% der Normen, wie aus einer von DIN im Jahr 1997 beauftragten Studie hervorgeht
**) 1989 betrug der Bundesanteil an der Finanzierung des DIN 17%, so vorgetragen beim BGH


Ein Lichtblick?

Mit Beschluss vom 29.7.1998 hat das Bundesverfassungsgericht den BGH in seinem Urteil bestätigt, "daß die DIN-Normen nach § 5 Abs. 1 UrhG vom Urheberrechtsschutz ausgeschlossen seien. Zwar seien die DIN-Normen selbst keine Gesetze, Rechtsverordnungen, amtliche Erlasse oder Bekanntmachungen im Sinne dieser Vorschrift. (...) Doch könne auch die Bezugnahme auf private Werke in amtlichen Verlautbarungen zum Ausschluß des Urheberrechtsschutzes nach § 5 Abs. 1 UrhG führen". Weiter führt das BVerfG aus: "Ziel der Regelungen zur Gemeinfreiheit von amtlichen Werken war es seit jeher, Publizität für alle Äußerungen der Staatsgewalt zu schaffen. Der dem Gesetz unterworfene Bürger soll sich über Vorschriften aller Art, Entscheidungen und über sonst rechtserhebliche Unterlagen und Äußerungen in gerichtlichen und behördlichen Verfahren frei unterrichten können".

Dem ist nichts hinzuzufügen, deutlicher geht es nicht mehr.


Der Skandal

Am 31.07.2002 hat die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes veröffentlicht. Der eigentliche Anlass zur Änderung des Gesetzes ist die Umsetzung der europäischen Richtlinie 2001/29/EG. Im Zuge der notwendigen Gesetzesänderung soll auch der § 5 überarbeitet werden. Statt nun, wie man erwarten könnte, den Beschluss aus Karlsruhe im Gesetzestext umzusetzen, soll genau das Gegenteil praktiziert werden, Zitat:

"Das Urheberrechtsgesetz vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1273), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:
1. Dem § 5 wird folgender Absatz angefügt:
(3) Das Urheberrecht an privaten Normwerken wird durch die Absätze 1 und 2 nicht berührt, wenn Gesetze, Verordnungen, Erlasse oder amtliche Bekanntmachungen auf sie verweisen, ohne ihren Wortlaut wiederzugeben."


Das Bundesverfassungsgericht hat die Interessen der Bürger eindeutig höher bewertet als die Interessen privater Gremien. Die Einzelbegründung der Gesetzesänderung steht im krassen Gegensatz dazu, Zitat:

"Mit der Neuregelung soll dem berechtigten Interesse privater Gremien zur Normung Rechnung getragen und zugleich vermieden werden, dass durch die anderenfalls drohende Einschränkung der Selbstfinanzierung solcher Gremien hohe staatliche Subventionen erforderlich werden oder eine Gefahr für die Tätigkeit dieser verdienstvollen Gremien entsteht."

Glaubt man dieser Begründung, droht also ohne Urheberrecht an allgemeinverbindlichen Normen die Gefahr der Verarmung für die Normengremien. Subventionen drohen, wolle man die verdienstvolle Tätigkeit aufrecht erhalten. Völlig unterschlagen wird dabei, dass bereits jede Menge Geld fliesst, rund 10 Mio. Euro im Jahr 2001 allein an DIN e.V. als "zweckgebundene staatliche Mittel zur Durchführung bestimmter Normungsvorhaben im öffentlichen Interesse" - angesichts der etwa 20% verbindlichen DIN-Normen kein Missverhältnis.

Im allgemeinen Begründungsteil wird eingeräumt, dass es für den Verbraucher teurer wird. Ein Deal? Subventionen runter, dafür im Gegenzug Urheberrecht, und der Verbraucher zahlt?

"Eine zusätzliche Kostenbelastung kann sich aufgrund der zugleich vorgeschlagenen Änderung des § 5 ergeben, der das Urheberrecht an die verstärkte Mitwirkung privater Normungsorganisationen bei der Rechtssetzung anpasst".

Der Verfasser der Begründung hängt ausserdem an den oben kritisierten alten Zöpfen:

"Im Regelfall werden nämlich Gesetze, Verordnungen, Erlasse oder amtliche Bekanntmachungen auf private Normwerke lediglich verweisen und damit der Urheberrechtsschutz erhalten bleiben".

Der gesamte Vorgang ist skandalös und eine Ohrfeige für den BGH und das Bundesverfassungsgericht.


Das vorläufige Ende?

Trotz des Einsatzes von IDIN und weiterer Mitstreiter konnte das Urheberrecht für alle DIN-Normen, auch der rechtssatzähnlichen Eingeführten Technischen Baubestimmungen ETB, nicht verhindert werden. Hier unser letzter Kommentar.

(bs)

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