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Kommentar

Bananenrepublik Deutschland –
Urheberrechtsschutz für rechtsverbindliche DIN-Normen



Der Zug scheint abgefahren zu sein. Am 9. April 2003 hat der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags über den "Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft"1) abgestimmt. Der von der Regierungskoalition vorformulierte Beschlussantrag2) sah vor, den § 5 Abs. 3 UrhG3) unverändert stehen zu lassen. Ein letzter Änderungsantrag der CDU/CSU wurde abgelehnt, die FDP wurde überstimmt. Schon am 11. April 2003 wird die Gesetzesnovelle abschließend im Plenum des Deutschen Bundestags beraten. Wie konnte das passieren?

Jeder Vertreter der freien Wirtschaft, der schon einmal mit Behördenmitarbeitern zu tun hatte, weiß um deren Bestechlichkeit. Dabei geht es nicht unbedingt um massive materielle Vorteilsannahme. Nein, schon allein das Gefühl, von vermeintlich mächtigen Menschen ernst genommen zu werden, mit ihnen gemeinsam am Mittagstisch zu sitzen, kann Wunder wirken. Solchermaßen "Angefütterte" sind ob der menschlichen Wärme, die ihnen widerfährt, erhöht empfänglich für die Anliegen ihrer Besucher. Man darf getrost davon ausgehen, dass solche Mechanismen bei der Entstehung und Durchfechtung des § 5 Abs. 3 UrhG eine Rolle gespielt haben. Die selben Argumente, mit denen DIN e.V. in allen Gerichtsinstanzen abgeblitzt war, waren für die Ministerialbeamten nämlich "durchaus überzeugend". Darüber, ob die Bestechung über menschliche Wärme hinaus ging, darf spekuliert werden.

Allein die Tatsache, dass es so gewesen sein könnte, würde in anderen als den heutigen Zeiten dazu geführt haben, dass die Bundesregierung den Fremdkörper mit "ruhiger Hand" aus dem Feuer, sprich dem Gesetzentwurf, genommen hätte, als sich Widerstand dagegen abgezeichnet hat. In Zeiten, in denen das Stolpern von einem politischen Fettnäpfchen ins andere an der Tagesordnung ist und die vorderen Seiten der Gazetten mit Völkerrechtsthemen gefüllt sind, ist es dagegen leicht, in kleinen Dingen gleichgültig zu sein. Auf ein Skandälchen mehr oder weniger kommt es nicht mehr an.

Nicht anders ist es zu erklären, dass ein Paragraf, der auf zweifelhafte Weise4) Eingang in einen Gesetzentwurf gefunden hat in den er nicht hineingehört5), allein mit spekulativem Zahlenmaterial6) und potenziellen Horrorszenarien7) gegen alle verfassungsrechtlichen Bedenken und rechtsstaatliche Prinzipien verteidigt werden konnte. Warum diese Szenarien trotz der seit 1990 unveränderten rechtlichen Rahmenbedingungen nicht längst eingetreten sind bleibt im Dunkeln. Auf die gefestigte Rechtsprechung des BGH und des Bundesverfassungsgerichts8) und auf die Stellungnahmen von Verfassungsrechtlern9) kam es am Ende nicht an. Der freie Zugang des Bürgers zu bindenden, bußgeldbewehrten, dem Sicherheits-, Klima- und Gesundheitsschutz dienenden Rechtsnormen wurde dem Kommerz geopfert, im Wesentlichen dem Wohlergehen eines einzigen Verlags.

Wie verdienstvolle Normengremien denken, mag ein Blick auf deren Sprachstil verdeutlichen. "Förderbeiträge" stellen für Normierer "ein unverzichtbares Steuerungsinstrument" dar10). Ganz unverhohlen wird von "interessierten Kreisen" gesprochen. Die nationalen Normorganisationen verpflichten sich gegenseitig "durch mitgliedschaftliche Regeln, für den Schutz der Urheberrechte zu sorgen" und maßen sich gar an, "die Unversehrtheit des Urheberrechts" auf nationaler Ebene gewährleisten zu können. Nur wer das kann, darf auf internationaler Ebene mitspielen11).

Dass die Einflussnahme auf die Legislative in einem Land wie Ungarn, in dem amtliche Ausweispapiere für 3-stellige Beträge zu kaufen sind, funktioniert hat, verwundert nicht. Ein solches Modell auf Deutschland zu übertragen ist dagegen schon dreist, aber es scheint jetzt auch hier geklappt zu haben.

Dass edle Prinzipien letztendlich gegen den großen, durch "Lobbyarbeit" angefütterten Koalitionspartner SPD nicht durchsetzbar sind, mussten auch die Grünen, allen voran Grietje Bettin, lernen. Vollmundiges Hochhalten rechtsstaatlicher Prinzipien12) und deren Umsetzung sind zwei Paar Stiefel. Der Schwanz wedelt eben nicht mit dem Hund, Amerika macht es uns auf weltpolitischer Ebene eindrucksvoll vor.

Bruno Stubenrauch, 9. April 2003




1) Gesetzentwurf der Bundesregierung, Drucksache 15/38 vom 6. November 2002
http://dip.bundestag.de/btd/15/000/1500038.pdf

2) Beschlussantrag der Koalitionsfraktionen vom 14.03.2003
http://www.urheberrecht.org/topic/Info-RiLi/ent/Antrag-Berichterst.pdf

3) (1) Das Urheberrechtsgesetz vom 9. September 1965 (BGBl. I S. 1273), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:
1. Dem § 5 wird folgender Absatz angefügt:
"(3) Das Urheberrecht an privaten Normwerken wird durch die Absätze 1 und 2 nicht berührt, wenn Gesetze, Verordnungen, Erlasse oder amtliche Bekanntmachungen auf sie verweisen, ohne ihren Wortlaut wiederzugeben."

4) Stellungnahme IDIN vom 23. November 2002:
"Eine Beteiligung anderer betroffener Fachkreise und Verbände im Stadium des Referentenentwurfs wurde nicht durchgeführt. Gemäß § 47 GGO - Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien – hätte eine aktive Zuleitung des Entwurfs an Zentral- und Gesamtverbände sowie an Fachkreise, die auf Bundesebene bestehen, durch die Bundesregierung erfolgen müssen".

5) Einzelerläuterung des Gesetzentwurfs zum § 5 UrhG:
"Die vorgeschlagene Regelung zu § 5 entspricht keinem Gebot der Richtlinie. Der vorgelegte Entwurf wird lediglich als Gelegenheit genutzt, die seit längerem notwendige Sicherung des urheberrechtlichen Schutzes für private Gremien der Normung, wie z. B. das Deutsche Institut für Normung e. V. (DIN), vorzunehmen".

6) Auszug aus der Stellungnahme der Bundesregierung vom 17. Januar 2003 zur kleinen Anfrage der FDP vom 18. Dezember 2002:
"Das DIN beziffert seine potentiellen Einnahmeverluste derzeit mit ca. 7 Mio. Euro jährlich. Es verweist darauf, dass der Anteil der Verkaufserlöse mit amtlich bezeichneten Normen bei rd. 30 % seiner Gesamterlöse liege. Da aber Normen durch Zitieren von weiteren Normen miteinander funktional verknüpft seien, sei letztlich nahezu das gesamte Normenwerk als verbindliche Vorgabe definierbar. Damit sei letztlich das gesamte Erlösvolumen des DIN gefährdet. Nehme man an, dass nur 50 % der mit den direkt bezeichneten Normen erzielten Erlöse wegfielen, ergebe sich der oben genannte Verlust von 7 Mio. Euro. Diese Einnahmeverluste sollen mit der neuen Vorschrift des § 5 Abs. 3 UrhG verhindert werden".

7) Auszug aus der Stellungnahme der Bundesregierung vom 17. Januar 2003 zur kleinen Anfrage der FDP vom 18. Dezember 2002:
"Einnahmeausfälle des DIN durch Haushaltsmittel des Staates zu kompensieren, ist angesichts der Haushaltslage nicht möglich. Dies wäre aber auch nicht wünschenswert. Aus der Eigenfinanzierung des DIN würde eine Staatsfinanzierung, der Selbstverwaltungscharakter der Normung ginge verloren. Auch wäre damit zu rechnen, dass das finanzielle Engagement der Wirtschaft nachlassen würde und diese außerdem ihre Experten - jedenfalls zum Teil - nicht mehr ehrenamtlich zur Verfügung stellen würde. Der Staat müsste damit Sachverstand, der bisher auf Kosten der Unternehmen zur Verfügung gestellt wurde, teuer bezahlen. Auf den Staat kämen Kosten in wahrscheinlich dreistelliger Millionenhöhe zu.
Hinzu kommt, dass DIN und DKE auch gegenüber den europäischen und internationalen Normenorganisationen eine Verpflichtung haben, die Unversehrtheit des Urheberrechts an den dort erarbeiteten Normen zu gewährleisten (s.o. Vorbemerkung Ziff. 4). Wenn die deutschen Organisationen in den internationalen Gremien keinen Einfluss mehr auf die Gestaltung solcher Normen nehmen können, schadet dies den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands ganz erheblich".

Anm. 1: Vorbemerkung Ziff. 4 ist wiedergegeben in Fußnote 11 nächste Seite

Anm. 2: Das Urheberrecht an diesem Text der Bundesregierung dürfte beim DIN e.V. liegen.

8) Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 1143/90 vom 29.7.1998
http://www.bverfg.de/entscheidungen/text/rk19980729_1bvr114390

9) Prof. Dr. Haimo Schack und Frau Prof. Dr. Barbara Stickelbrock auf der Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses vom 29. Januar 2003

10) Geschäftsbericht DIN e.V., 2001

11) Auszug aus der Stellungnahme der Bundesregierung vom 17. Januar 2003 zur kleinen Anfrage der FDP vom 18. Dezember 2002, Vorbemerkung Ziffer 4:
"Auch als Mitglied der europäischen und internationalen Normenorganisationen, z.B. des Comité Europeén de Normalisation (CEN) oder der International Organization for Standardization (ISO), sind DIN und DKE verpflichtet, die Unversehrtheit des Urheberrechts an europäischen und internationalen Normen auf nationaler Ebene zu gewährleisten. Die europäischen und internationalen Normenorganisationen werden zwar durch die Beträge Ihrer Mitglieder finanziert (im Gegenzug gestatten sie den Mitgliedern die Vermarktung ihrer Normen auf nationaler Ebene), verpflichten aber ihre Mitglieder durch mitgliedschaftliche Regeln, für den Schutz der Urheberrechte zu sorgen. Mittelbar sichert das ihre eigene Finanzierungsgrundlage. Unmittelbar schützt das die Finanzierungsgrundlage der Mitgliedsorganisationen und damit deren Fähigkeit zur Erarbeitung der europäischen und internationalen Normen. Die europäischen und internationalen Normenorganisationen nehmen die 'Geschlossenheit der Sicherungskette' sehr ernst. Sie verfolgen konsequent die Politik, dass eine nationale Organisation, die den Bestand des Urheberrechts nicht gewährleisten kann, nicht ihr Mitglied sein kann".

Anm.: 125 internationale Normen sind in Deutschland bauaufsichtlich eingeführt und seit 1990 lt. BGH frei von Urheberrechten. Trotzdem ist DIN e.V. noch Mitglied im CEN und ISO.

12) Interview mit heise online vom 28. November 2002
http://www.heise.de/newsticker/data/jk-28.11.02-000/
"Es sei ein 'grundlegendes demokratisches Prinzip, dass es an verbindlichen Normen kein Urheberrecht geben darf', erklärte die medienpolitische Sprecherin der Fraktion, Grietje Bettin, gegenüber heise online. Es könne nicht angehen, dass man von Normen, an die man sich schließlich halten solle, erst nach dem Hinblättern von Euroscheinen Kenntnis erlange".


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